Bislang gehörte ich zu denen, die gerne und viel gegeben haben. „Haben sie etwas Geld für mich?“ Und schon hatte ich einen oder zwei Euro aus meiner Hosentasche geholt, die in die Hand oder den Becher des Obdachlosen wechselte.
Heute sehe ich das differenziert
Die üblichen Kontakte, die ich zu obdachlosen Menschen hatte, waren „Sekundenbeziehungen“.
- Frage.
- Geld gegeben.
- Tschüs.
Ich arbeite in einem Ladenbüro in der Hamburger Innenstadt. Der Blick fällt direkt auf einen großen Platz. Hier wohnt ein Mensch. Er ist obdachlos. Nennen wir ihn Paul.
Als Paul vor etwa zwei Monaten hier „einzog“, sah er ganz gut aus. Saubere Kleidung, ein gepflegtes Äußeres. Gute Ausdrucksweise.
Und er erzählte Geschichten. Unglaublich traurige. Unglaublich unglaubliche. Ein paar wahre Geschichten waren bestimmt auch dabei. Nicht sehr viele.
Belohnung
Pauls Geschichten wurden belohnt. Die Menschen, die ihm zuhörten (viele aus einem kirchlichen Umfeld), waren vielleicht beeindruckt, berührt oder fühlten sich verpflichtet. Jedenfalls wechselte mancher Euro und ein Vielfaches davon in Pauls Hände. Auch von mir.
Was ich nicht wusste: Paul ist Alkoholiker. Sobald er einen ausreichenden Betrag hat, führt in sein Weg in den Kiosk in der Nähe. Hochprozentiger Alkohol. Mehrfach am Tag werden Flaschen geleert.
Seine Geschichten wurden besser. Die Belohnungen auch und der Alkohol wurde mehr.
Paul baute immer mehr ab. Im Gesicht zeigten sich Spuren des körperlichen Verfalls. Seine Kleidung verschmutzte. Er schaffte es gelegentlich nicht mehr zu seiner „Toilette“ im Gebüsch eines Kinderspielplatzes. Es stank an seinem Schlafplatz.
Paul wurde immer aggressiver
Aus einer Kirche heraus, gab es immer wieder professionelle Hilfs- und Unterstützungsangebote. Während der gesamten Zeit. Auch als es ihm noch besser ging. Er lehnte und lehnt alles ab.
Eskalation
Die Polizei kommt. Es werden Platzverweise ausgesprochen. Strafanzeigen gestellt. Insgesamt wirkungslos. Paul ist da und er bleibt. Er beschimpft, beleidigt und bedroht andere Menschen. Auch andere Obdachlose. Revierkampf.
Meine Barmherzigkeit beflügelt seinen Absturz
Gutgemeinte und wirklich aufrichtige, von Herzen kommende Hilfe und ein paar Euro können so viel Schaden anrichten. Und bei Paul habe ich es nur gemerkt, weil es keine „Sekundenbeziehungen“ waren. Ich habe ihn jeden Tag gesehen und gesprochen. Es wurde von Woche zu Woche schlimmer. Und dann habe ich die Alkoholflaschen gesehen. Er konnte sie in seinem Zustand nicht mehr verbergen.
Mit dem Nachdenken über Paul und diese gesamte Situation bin ich noch nicht fertig. Vielleicht werde ich diesen Text hier noch ergänzen. Mal sehen.